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Für die Jemeniten: Gerrianne Pennings im Gespräch mit Kindern im Jemen

Blut, Schweiß und Tränen für die Jemeniten

Verängstigt war sie nicht, aber übermüdet von unzähligen Nächten im Luftschutzbunker. Zweieinhalb Jahre lang arbeitete Gerrianne für ZOA im Jemen, wo seit 2015 ein Bürgerkrieg wütet. Nun kehrt sie vorerst in die Niederlande zurück. Die Jemeniten sind der einzige Grund, warum ich es hier so lange ausgehalten habe, erzählt sie.

GERRIANNE ARBEITETE 2,5 JAHRE LANG FÜR ZOA IM JEMEN

Leben in einem ständigen Lockdown

Zweieinhalb Jahre lang hat sich die Niederländerin Gerrianne Pennings (30) mit Leib und Seele dem Jemen verschrieben. Von ihrem Gefängnispalast in der Hauptstadt Sanaa aus überwachten sie und ihre Kollegen die Qualität und den Fortschritt der ZOA-Projekte in dem vom Krieg verwüsteten Land. Das Leben in ständiger Abriegelung war hart für sie, aber sie hat durchgehalten. Nur wegen der Jemeniten.

Eigentlich habe ich mir eine gute Zeit ausgesucht, um im Jemen zu arbeiten, erzählt Gerrianne scherzhaft. Während der Corona-Krise war auch der Rest der Welt abgeschottet. Dadurch konnten die Menschen ein wenig besser verstehen, wie es ist, hier im Jemen zu arbeiten, mit so vielen Einschränkungen und Unsicherheiten. Hier erleben wir genau dieses Gefühl der Abgeschiedenheit. Aber dauerhaft.

Der Krieg im Jemen brach 2015 aus. Der Konflikt ist ein Kampf des Volkes gegen die Machthaber und zwischen dem Norden und dem Süden des Landes. Durch die Einmischung anderer Länder ist er auch zu einem internationalen Konflikt geworden. Im April dieses Jahres schien sich das Blatt zu wenden: Es wurde ein Waffenstillstand erreicht, der schließlich bis Anfang Oktober andauerte.

Wir haben alle so sehr gehofft, dass der Waffenstillstand weiter verlängert wird, sagt Gerrianne, die an dem Tag, an dem der Waffenstillstand endete, ihren 30sten Geburtstag feierte. Aber leider hat das nicht geklappt. Die Zukunft bleibt für die Jemeniten sehr ungewiss.

Für die Jemeniten: Gerrianne Pennings in Sanaa

Gefängnispalast

Gerade für die Jemeniten hat Gerrianne in den letzten zweieinhalb Jahren Herz und Seele eingesetzt. Nach Abschluss ihres Masterstudiums in Internationaler Migration und sozialem Zusammenhalt ging sie 2017 für ZOA nach Uganda. Kurz vor Ausbruch der Corona-Krise verließ sie dieses Land und wechselte nach einem kurzen Aufenthalt in den Niederlanden in den Jemen.

Sie begann dort als Koordinatorin für Monitoring, Evaluierung, Accountability und Lernen und übernahm später die Aufgaben der Managerin für Programmqualität und der Koordinatorin für Finanzhilfen. Sie kümmert sich hauptsächlich um die Überwachung der Qualität, des Fortschritts und der Finanzierung der ZOA-Projekte im Jemen. Diese konzentrieren sich auf die Bereitstellung von Nothilfe in Form von Bargeldgutscheinen und die Sicherstellung von sauberem Trinkwasser, sanitären Einrichtungen und Hygienebewusstsein. Diese Unterstützung wird dringend benötigt, da ein großer Teil der jemenitischen Bevölkerung seit Jahren am Rande der Hungersnot steht.

Gerrianne hat eine schwierige Kombination von Aufgaben in einem ebenso schwierigen Umfeld. Ihr ganzes Leben sei ihre Arbeit hier, sagt sie in den letzten Wochen vor ihrer Abreise aus dem Jemen. Ein paar Mal konnte sie zu Projektstandorten im Land reisen. Die meisten Tage spielen sich jedoch ausschließlich im ZOA-Büro und im Teamhaus nebenan in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa ab.

Wir nennen es unseren Gefängnispalast, sagt sie und grinst. Hier arbeite ich, mache Sport, koche und entspanne mich. Wir können nicht einfach auf die Straße gehen oder alleine einkaufen. Wir brauchen für alles eine Genehmigung.

Wenn sie die Erlaubnis erhält, mit einem der Fahrer auszugehen, trägt sie eine Abaya (langes schwarzes Kleid) und einen Hijab (Kopftuch). Ich betrachte es einfach als meine Arbeitsuniform, sagt sie. Man gewöhnt sich an die Kleidung. Aber alles in allem wird einem viel abverlangt, wenn man so viel Freiheit aufgeben muss.

Für die Jemeniten: Gerrianne Pennings bei einem Besuch im Jemen

Luftschutzbunker

Im Jemen ist alles kompliziert, auch wegen des Konflikts, sagt Gerrianne. „Die Dinge brauchen nicht nur einfach ihre Zeit. Sie brauchen eine sehr lange Zeit. In Uganda hatte sie sich bereits an eine lockerere Kultur gewöhnt, aber im Jemen erlebt sie die Unsicherheit in einer ganz anderen Größenordnung. Wirklich alles ist ungewiss. Man muss immer einen Plan B, C, D, E, F und G parat haben.

Anfang dieses Jahres musste Plan G fast täglich in Kraft gesetzt werden, da die Gewalt im Land zunahm. Wegen der heftigen Luftangriffe auf Sanaa verbrachte das ZOA-Team Nacht für Nacht im Luftschutzbunker. Zwei Monate lang.

Fast jede Nacht wurden wir von Bomben und Flugzeugen geweckt, erinnert sie sich. Nach ein paar solcher Nächten habe ich angefangen, mich auf den Ernstfall vorzubereiten. Bevor ich einschlief, legte ich meine Socken und mein aufgeladenes Handy bereit. Und wir haben uns im Luftschutzkeller mit Keksen und Schokolade eingedeckt. Das machte die Nächte dort erträglicher.

Es war eine sehr intensive Zeit, auch für die jemenitischen Teammitglieder. Verängstigt ist Gerrianne nicht gewesen. Aber übermüdet, wegen der vielen schlaflosen Nächte. In der Zwischenzeit haben wir versucht, die Arbeit fortzusetzen. Zugleich gab es eine besondere Art von Zusammengehörigkeit. Wir waren alle erschöpft.

Für die Jemeniten: ZOA-Mitarbeiter im Gespräch mit Menschen im Jemen

Gastfreundlich und widerstandsfähig

Es folgte eine Zeit der relativen Ruhe. Die große Frage ist nun, wie es mit dem Jemen weitergehen soll. Die intensiven zwei Monate zu Beginn des Jahres haben dazu beigetragen, dass Gerrianne sich entschlossen hat, das Land zu verlassen - so schwer es ihr auch fallen mag. Irgendwann habe ich an meinem Körper gemerkt, dass ich mich zu lange in einer abnormalen Situation befunden habe. Es hat gereicht. Ich habe mein Blut, meinen Schweiß und meine Tränen in dieses Land investiert. Jetzt sehne ich mich nach etwas mehr Freiheit. Und vor allem meine Familie. Ich habe sie sehr vermisst.

Die meisten Jemeniten haben nicht die Möglichkeit zu gehen - das ist ihr nur allzu bewusst. Sie hat ihr Herz an die Menschen verloren. Die Jemeniten sind der einzige Grund, warum ich es hier so lange ausgehalten habe. Sie sind so fantastische Menschen. Unglaublich gastfreundlich und widerstandsfähig. Selbst nach fast acht Jahren Krieg stehen sie noch immer nicht mit erhobenen Händen da, um Hilfe zu erhalten. Sie beschließen, ihre Probleme gemeinsam anzugehen. Das ist wirklich etwas Besonderes.

Gerriannes Motivation rührt aus den Menschen, für die sie arbeitet. Das hat sie im Jemen mehr denn je erkannt. Es geht nicht um mich, sagt sie. Ich bin nur ein kleiner Teil des Ganzen. Es geht um uns gemeinsam. Mit Liebe können wir etwas bewirken.

Für die Jemeniten: Gerrianne Pennings im Gespräch mit Kindern im Jemen

Supermarkt

Gerrianne wird die Jemeniten vermissen, da ist sie sich sicher. Gleichzeitig freut sie sich aber auch auf die Freiheit in ihrem Heimatland. Ein Ende der Abriegelung. Endlich. Wenn ich demnächst in den Niederlanden bin, werde ich als Erstes allein mit dem Fahrrad zum Supermarkt fahren!

 

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